DE | EN

Bella Diekmann (eingereicht)

Wortproduktion im Satzkontext: Eine ECoG-Untersuchung

ErstbetreuerProf. Dr. Peter Auer
ZweitbetreuerProf. Dr. Tonio Ball
Abstract

Das vorliegende Promotionsprojekt ist in den Bereich der Neurolinguistik einzuordnen und untersucht die neuronale Aktivität während natürlicher, spontaner Sprachproduktion. Datengrundlage ist ein multimodales Korpus aus simultanen Audio-, Video- und Elektrokortikographie-Aufnahmen von EpilepsiepatientInnen, die im Rahmen präneurochirurgischer Diagnostik am Universiätsklinikum Freiburg behandelt worden sind. Elektrokortikographie (ECoG) verfügt über eine hohe zeitliche und räumliche Auflösung und ist robust gegenüber Artefakten. Daher kann diese Methode die räumliche Organisation und zeitliche Dynamik der neuronalen Signale, die der Sprachproduktion der PatientInnen zugrunde liegen, zuverlässig erfassen. Vor dem Hintergrund der gebrauchsbasierten Linguistik wird der Frage nachgegangen, wie sich die Erfahrung mit Sprache in der Hirnaktivität bei der Produktion von Wörtern im Satzkontext widerspiegelt. Ein zentraler Aspekt der Erfahrung mit Sprache ist die Wahrscheinlichkeit von sprachlichen Elementen. In der gebrauchsbasierten Linguistik wird davon ausgegangen, dass Wörter, die häufig (gemeinsam) erfahren werden, über eine stärkere mentale Repräsentation verfügen. Daher könnten diese Wörter leichter und schneller abgerufen werden. Tatsächlich hat eine Vielzahl an psycholinguistischen Studien einen Effekt der Wahrscheinlichkeit von sprachlichen Elementen auf die Verarbeitung gezeigt. Neurolinguistische Untersuchungen haben außerdem unterschiedliche Aktivierungsmuster in Abhängigkeit von der Wahrscheinlichkeit eines Wortes beobachtet. In der vorliegenden Arbeit werden die Frequenz und Übergangswahrscheinlichkeit eines Wortes herangezogen, um seine Wahrscheinlichkeit zu erfassen und die Erfahrung mit Sprache zu operationalisieren. Außerdem wird eine Reihe weiterer Worteigenschaften wie die Position eines Wortes im Satz oder seine Dauer berücksichtigt. Die Residuen dieser Parameter werden mit der neuronalen Aktivität korreliert. Es wird erwartet, dass die Produktion von Wörtern mit einer niedrigen Frequenz oder Übergangswahrscheinlichkeit mit mehr Aufwand verbunden ist, was sich in einer Zunahme der neuronalen Aktivität im hohen Gamma-Frequenzbereich (70 –150 Hz) äußern sollte. Die Zunahme der Aktivität in diesem Frequenz-Band gilt als zuverlässiger Marker kortikaler Aktivierung während der Produktion von Sprache. Anders als vermutet kann keine signifikante Korrelation zwischen der Frequenz bzw. der Übergangswahrscheinlichkeit der Wörter und der Aktivität im hohen Gamma-Band beobachtet werden. Indirekt spiegelt sich die Erfahrung mit Sprache aber dennoch in der neuronalen Aktivität wider. Ein Cluster aus Elektroden auf dem ventralen prämotorischen Cortex (vPMC) zeigt signifikante Antworten im hohen Gamma-Band während der Satzproduktion und weist eine signifikante Korrelation mit der Wortposition im Satz auf. An diesen Elektroden nimmt die neuronale Aktivität im Verlauf der Satzproduktion ab. Da angenommen werden kann, dass die kontextuellen Beschränkungen, die auf ein Wort wirken und seine Wahrscheinlichkeit im Kontext beeinflussen, mit Fortschreiten des Satzes zunehmen, wird über die Satzposition zumindest indirekt die Wahrscheinlichkeit eines Wortes erfasst. Im Gegensatz zu den Elektroden auf dem vPMC kann für mehrere Elektroden auf dem Brodmann-Areal 44 (BA 44), die ebenfalls signifikante Antworten im hohen Gamma-Band während der Satzproduktion aufweisen, eine Korrelation mit der Wortposition definitiv ausgeschlossen werden. Während Elektroden auf dem vPMC eine zeitmodulierte Antwort zeigen, ist die Antwort an Elektroden auf BA 44 also anhaltend. Die beiden Areale im posterioren frontalen Cortex zeigen folglich zwei verschiedene zeitliche Antwortmuster während der natürlichen, spontanen Produktion von Sätzen. Die anatomische Organisation der beiden Antworttypen entspricht dabei einem Gradienten entlang des Sulcus centralis. Die vorliegende Arbeit ergänzt somit die Ergebnisse von neurolinguistischen Studien, die unterschiedliche Aktivierungsmuster in diesen beiden frontalen Arealen beobachtet und sie mit verschiedenen Funktionen assoziiert haben. Die zeitmodulierten Antworten im vPMC könnten mit einer Abnahme der planungsbezogenen Aktivität und einer Zunahme der kontextuellen Beschränkungen während der Satzproduktion zusammenhängen. Die andauernden Antworten könnten eine Involvierung von BA 44 in die Kontrolle der Artikulation bzw. die Sequenzierung von sprachmotorischen Befehlen widerspiegeln. Abschließend lässt sich festhalten, dass die vorliegende Arbeit basierend auf spontanen, natürlichen Sprachdaten erstmals einen Gradienten zeitlicher Antwortmuster entlang des Sulcus centralis während der Produktion von Sätzen nachweist.

DisziplinLinguistik
SprachenDeutsch
ForschungsrichtungNeurolinguistik
SchlüsselbegriffeElektrokortikographie, Sprachproduktion, Spontansprache, Frequenz, gebrauchsbasierte Linguistik